Ein Marshallplan für die Ukraine

Namensbeitrag Scholz und von der Leyen Ein Marshallplan für die Ukraine

Gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wirbt Bundeskanzler Scholz für einen Wiederaufbau-Plan für die Ukraine. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreiben sie, es handele sich um „eine Generationenaufgabe, die jetzt beginnen“ müsse.

Der Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer angesichts des russischen Überfalls auf ihr Land ist beeindruckend. Ihr Durchhaltevermögen und ihre Standfestigkeit gegen diese völkerrechtswidrige Aggression sind es auch. Letztlich ist es genau dieser Mut der Ukraine, der uns am 25. Oktober in Berlin zusammenführt. Dort wollen wir mit Fachleuten darüber diskutieren, wie die Staatengemeinschaft der Ukraine beim Wiederaufbau am besten helfen und sie unterstützen kann.

Mit der Gestaltung des Wiederaufbaus bestimmt sich, welches Land die Ukraine künftig sein wird. Ein Rechtsstaat mit starken Institutionen? Eine agile und moderne Wirtschaft? Eine lebendige Demokratie, die zu Europa gehört? Auch wenn man mit historischen Vergleichen stets vorsichtig sein sollte, geht es hier um nicht weniger, als einen neuen Marshallplan des 21. Jahrhunderts zu schaffen. Eine Generationenaufgabe, die jetzt beginnen muss.

Was können wir – gemeinsam mit unseren ukrainischen Partnern – von den Wiederaufbauerfahrungen der Vergangenheit lernen? Wie lässt sich so ein gewaltiges langfristiges Vorhaben organisieren und finanzieren? Auf welche Strukturen kommt es an, um dabei für die nötige Transparenz und für das unabdingbare Vertrauen von Investoren zu sorgen? Das sind einige der Fragen, die wir am Dienstag in Berlin mit Expertinnen und Experten, mit Vertreterinnen aus Europa, G 7, G 20, aus internationalen Organisationen, der Zivilgesellschaft und insbesondere der Ukraine diskutieren wollen.

Das Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer ist unermesslich, die Opfer, die sie jeden Tag zu beklagen haben, sind groß und die Einschnitte tief, die Präsident Putins Krieg für das Leben von Millionen von Menschen in der Ukraine bedeutet. Was wir als Staatengemeinschaft tun können und vom ersten Tag des Krieges an getan haben, ist, die Ukraine tatkräftig und verlässlich zu unterstützen. Wir haben scharfe Sanktionen gegen Russland ergriffen. Wir liefern Waffen, unterstützen die ukrainische Wirtschaft und helfen den Menschen im Alltag. Wir erleichtern den Export ukrainischer Waren in unseren Binnenmarkt und setzen Einfuhrzölle aus.

Und zeitweilig mehr als acht Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer haben in Europa Zuflucht und Schutz gefunden vor den Bomben und Raketen Putins. Europa hat ihnen sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Schulen, zu medizinischer Versorgung und zu Unterkünften ermöglicht. Im G7-Kreis sowie mit G20-Partnern kämpfen wir gegen die globalen Folgen des Krieges wie die weltweite Hunger-, Energie- und Wirtschaftskrise.

Die internationale Gemeinschaft leistet große finanzielle Unterstützung. Mehr als 35 Milliarden Euro haben die G7 -Staaten, die Europäische Union und ihre Mitglieder bislang allein an Soforthilfe für die Ukraine aufgebracht. Dieses Geld soll der Ukraine helfen, ihren unmittelbaren Finanzbedarf zu decken. Damit trotz des Krieges die Verwaltung weiter funktioniert. Damit Lehrer, Polizistinnen, Ärzte und Soldatinnen bezahlt werden können und die medizinische Versorgung aufrechterhalten wird.

Neben dieser akuten Hilfe müssen wir aber bereits heute an den Wiederaufbau des Landes denken, auch wenn Frieden noch weit weg scheint. Den Aufbau zerstörter Wohngebäude, Schulen, Straßen, Brücken, der Infrastruktur und der Energieversorgung, all das müssen wir jetzt angehen, damit das Land rasch wieder auf die Beine kommt. Denn die Ukraine braucht die Perspektive, dass sie wirtschaftlich wieder durchstarten kann, sobald der Krieg vorbei ist.

Entscheidend ist, diese große Aufgabe gemeinsam anzugehen. In der G7 und in den europäischen Institutionen sind wir uns darüber ganz einig. Die Aufgabe ist gigantisch. Die Weltbank beziffert die bisherigen Schäden des Krieges auf 350 Milliarden Euro. Und die Zerstörung geht weiter, wie die jüngsten Angriffe der vergangenen Tage zeigen. Weder die Ukraine noch einzelne Partner werden den notwendigen Aufwand allein bewältigen können. Wir müssen alle gemeinsam anpacken – EU, G7 und unsere Partner weit darüber hinaus. Natürlich sollten die internationalen Finanzinstitutionen und führende internationale Organisationen mit im Boot sein. Und auf Dauer wird wichtig sein, dass private Geldgeber und Unternehmen in den Wiederaufbau der Ukraine investieren.

Die Bereitschaft zu helfen ist umso größer, je klarer und nachvollziehbarer ist, wie das Geld genutzt wird. Daher werden wir gemeinsam mit unseren Freunden in der Ukraine sicherstellen, dass die Unterstützung dahin gelangt, wo sie am meisten gebraucht wird. Gemeinsam mit unseren G7-Partnern und weiteren Ländern, mit Unterstützung der internationalen Organisationen und der Ukraine wollen wir die Grundlagen für eine inklusive Geber-Plattform schaffen, die den Prozess des sofortigen Aufbaus zerstörter Infrastruktur sowie den langfristigen Wiederaufbau koordiniert. Eine gemeinsame Plattform soll dabei das zentrale Instrument zur Zusammenarbeit und Koordinierung der europäischen und internationalen Unterstützung sein. Es geht darum, große Wiederaufbauprojekte anzuschieben und technische Hilfestellungen zu leisten. Dabei sollen höchste Standards gelten, was Transparenz und Effizienz angeht, Rechnungsprüfung und Projekt-Monitoring.

Der Europäischen Union fällt dabei eine wichtige Rolle zu. Seit Sommer ist die Ukraine ein EU-Beitrittskandidat. Der Weg des Wiederaufbaus ist daher auch der Pfad der Ukraine in die Europäische Union. So geht es auch darum, die Wirtschaft nachhaltiger und digitaler zu gestalten. Denn das ist die Wirtschaft der Zukunft. Es geht darum, höchste Standards in Sachen Rechtsstaatlichkeit zu setzen und effektive Stellen zu etablieren, um Korruption zu bekämpfen. Denn das sind die Werte, für die Europa steht und die dabei helfen werden, das Vertrauen der Investoren und Geber zu gewinnen.

Wir sind uns einig: Die Unterstützung der Ukraine ist nicht nur richtig, sie liegt auch in unserem ureigenen Interesse: Die Ukraine kämpft nicht nur um die Souveränität und territoriale Integrität ihres Landes, sondern sie stemmt sich gegen Putins Versuch, gewaltsam Grenzen zu verschieben und seine Nachbarn mit Krieg und Zerstörung zu überziehen. Die Ukraine verteidigt auch die internationale regelbasierte Ordnung, die Grundlage unseres friedlichen Zusammenlebens und des Wohlstands weltweit. Wenn wir die Ukraine unterstützen, bauen wir also an unserer Zukunft und der unseres gemeinsamen Europas.