Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz  anlässlich der Ankündigung der Kooperation der Unternehmen Wolfspeed und ZF am 1. Februar 2023

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Dear Mr. Lowe,
sehr geehrter Herr Klein,
sehr geehrter Herr von Schuckmann,
sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, liebe Anke,
sehr geehrter Herr Bundesminister, lieber Robert,
sehr geehrter Herr Minister Barke,
verehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Landtages,
meine Damen und Herren,

vor zwei Wochen war ich beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort habe ich den versammelten Spitzenkräften der großen internationalen Unternehmen zugerufen: Wenn Sie nachhaltig und rentabel in die Zukunft investieren wollen, dann kommen Sie zu uns, kommen Sie nach Deutschland und nach Europa! Don’t look any further!

Lieber Herr Lowe, lieber Herr Klein, Sie haben sich für Ihre Fertigungsanlage hier in Ensdorf und einen weiteren Standort in Deutschland für Ihr Forschungszentrum für Europa entschieden. Das ist der handfeste Beweis dafür, dass meine These richtig ist. Ihnen rufe ich heute aus voller Überzeugung zu: You have found the place you were looking for!

Hier im Saarland finden Sie genau die Bedingungen, die Wolfspeed und ZF brauchen, um gemeinsam die nächste große industrielle Revolution mitzuprägen. Viel spricht dafür, dass Halbleitern aus Siliziumkarbid auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien, in der Telekommunikation und ganz besonders bei der Elektromobilität Zukunft gehört. Mit Chips aus Siliziumkarbid erzielen Elektrofahrzeuge, wie wir schon gehört haben, eine größere Reichweite. Das Laden geht schneller. Die Effizienz steigt. Man kann deshalb ohne Übertreibung sagen: Mit dem Bau dieser Fabrik für Halbleiter aus Siliziumkarbid kehrt die industrielle Revolution nach Ensdorf zurück.

Denn ganz vorn dabei, „cutting edge“, war man hier an der Saar in industrieller Hinsicht auch früher schon. Mehr als 200 Jahre lang wurde hier in Ensdorf Steinkohle gefördert, aufbereitet und verbrannt. Die gigantische Berghalde hier im Ort zeugt davon. Diese große Ära der Montanindustrie ist Geschichte. Was für ein tiefer Einschnitt das nicht nur für Ensdorf und nicht nur an der Saar, sondern überall in den klassischen Industrierevieren von Europa war, das muss ich keinem hier erzählen.

Manche sprechen nostalgisch von der guten alten Zeit. Völlig unverständlich ist das nicht. Aber, meine Damen und Herren, dass die gute alte Zeit vorbei ist, bedeutet nicht, dass keine gute neue Zeit anbrechen kann.

Es ist doch so: Wolfspeed und ZF kommen hierher an die Saar, gerade weil es hier so viel Erfahrung in Sachen Energie, so viel industrielles Knowhow und so viele gut ausgebildete Facharbeiter und Ingenieure gibt. Es ist doch kein Zufall, dass gerade hier nun neue Arbeitsplätze für die Zukunft entstehen, sondern das liegt daran, dass es hier im Saarland Umbrucherfahrung gibt, Offenheit für Neues und die Entschlossenheit, das Neue anzupacken.

Deshalb zeigt sich hier in Ensdorf, dass die gute alte Zeit die Grundlage für die gute neue Zeit schafft, die vor uns liegt. Mit der Milliardeninvestition von Wolfspeed und ZF bricht diese Zeit jetzt hier in Ensdorf an, mit neuem Wohlstand und neuen guten Industriearbeitsplätzen sowie mit Technologien, die für Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung eine wichtige Rolle spielen werden.

Ich will den Bogen aber noch weiter schlagen. Die neue Chipfabrik wird auch einen deutlichen Beitrag dafür leisten, dass unsere europäische Industrie verlässlich mit Halbleitern versorgt wird. Wie wichtig das ist und wie ernst die Lage werden kann, wenn Lieferketten reißen und zum Beispiel die Versorgung mit Halbleitern stockt, haben wir in Deutschland und Europa in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen. Gerade die Erfahrungen der Pandemie haben uns gelehrt, dass wir in Deutschland und Europa in technologischer, digitaler und logistischer Hinsicht resilienter werden müssen.

Deshalb werden wir Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten systematisch verringern und unsere Handlungsfähigkeit stärken. In Europa setzen wir dabei auf den Markt, auf Wettbewerb und Innovation. Wir setzen aber auch auf gemeinsame europäische Förderinstrumente, zum Beispiel die so genannten Important Projects of Common European Interest. Wir setzen auch auf den European Chips Act, der derzeit noch in Brüssel verhandelt wird, aber schon jetzt erste Wirkung entfaltet. Gerade hier bei uns in Deutschland sind mit Hilfe dieser Instrumente bedeutende Investitionen geplant, zu denen diese Fertigungsanlage hier im Saarland gehört. Dazu gehören aber auch weitere Projekte an anderen Standorten in Deutschland, etwa in Sachsen oder in Sachsen-Anhalt.

Die Investition von Wolfspeed und ZF ist damit ganz praktischer Ausdruck unserer zentralen politischen Zielsetzungen. Sie ist zugleich praktischer Ausdruck dessen, wie sinnvoll offene Märkte und gerade auch die transatlantische wirtschaftliche Zusammenarbeit sind.

In diesen Tagen ist viel vom amerikanischen Inflation Reduction Act und seinen möglichen Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Europa die Rede. Zunächst einmal ist es doch positiv und hoch willkommen, wenn die USA beim Klimaschutz und bei klimafreundlichen Technologien vorankommen wollen. Zugleich sprechen wir natürlich mit unseren amerikanischen Freunden, damit europäische Unternehmen dadurch nicht benachteiligt werden. Denn nicht Zollschranken oder strenge Ursprungsregeln sorgen für Innovation, sondern offene Märkte und fairer Wettbewerb.

Für mich ist die Debatte über den Inflation Reduction Act auch Ansporn für uns Europäer, immer wieder zu überprüfen, wie wir die Bedingungen für Investitionen hier bei uns weiter verbessern können. Dazu gehört, dass wir das europäische Beihilferecht noch agiler und zeitlich befristet auch flexibler machen, damit Investoren frühzeitig wissen, mit welcher Unterstützung sie rechnen können. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat dazu wichtige Vorschläge gemacht, die alle in die richtige Richtung gehen.

Lieber Gregg Lowe, in einem Interview hat man Ihnen vor einigen Jahren einmal die Frage gestellt: „What makes you happy?“ ‑ Ihre Antwort lautete: „When a group of individuals come together and accomplish something they first thought was impossible.”

Mein Eindruck ist, dass genau das hier gerade passiert. Das ist tatsächlich ein Grund zu großer Freude, nicht nur bei der Ministerpräsidentin. Ein kompliziertes Projekt wie dieses funktioniert ja überhaupt nur dann, wenn viele, viele Beteiligte am selben Strang und auch in dieselbe Richtung ziehen.

Die Projektteams der beiden Unternehmen sind heute hier, ebenso Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der beteiligten Behörden von der Stadt über das Land bis zum Bund. Herzlichen Dank für diesen intensiven Einsatz!

Den Partnern Wolfspeed und ZF wünsche ich großen Erfolg mit ihrem gemeinsamen Projekt und uns allen viele positive Effekte für das Saarland, für Deutschland, für Europa und für die transatlantische Zusammenarbeit.

Glück auf und schönen Dank!