Pressestatement von Bundeskanzler Scholz und dem Ministerpräsidenten Wüst am 22. August 2023 in  Simmerath/Hürtgenwald

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MP Wüst: Noch einmal dem Bundeskanzler ein herzliches Willkommen hier in Simmerath in Nordrhein-Westfalen! Wir freuen uns sehr, dass Sie heute gekommen sind.

So, wie in Simmerath, geht es. So funktioniert es. Das ist echt ein gutes Beispiel dafür, was wir gemeinsam hinsichtlich des Deutschlandtempos wollen, auch beim Ausbau der Erneuerbaren. Hier sieht man, wie das wunderbar im Einklang mit allen Beteiligten funktioniert. Ob es Tourismus, Forst- oder Landwirtschaft ist: Alle ziehen mit. Die Kommune lässt alle partizipieren. Alle haben auch etwas davon. Genau darum geht es: Tempo durch Akzeptanz.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen im letzten halben Jahr gut vorgelegt: allein 178 Genehmigungen für Windkraftanlagen - das entspricht ungefähr einer Leistung von 900 Megawatt – und eine sehr vergleichbare Leistung beim Bau von Photovoltaikanlagen. Damit ist Nordrhein-Westfalen vorne. Wir sind Tempomacher beim Deutschlandtempo in puncto Ausbau der Erneuerbaren. Wir werden in dieser Woche im Landtag die 1000-Meter-Abstandsregelung abschaffen. Wir werden durch Zonen regeln und steuern, die wir definieren. Auch damit kann man schützen und kann - so gibt das die Bundesregierung ja auch vor - Ordnung für einen fairen Ausgleich hineinbringen. Wir werden die Flächenziele, die der Bund uns vorgibt - 1,8 Prozent der Landesfläche -, nicht erst 2032 erreichen, wie es vorgesehen wäre, sondern schon 2025, weil wir ambitioniert sind, unseren Beitrag leisten wollen und weil wir eben als Industrieland auch ein großer Verbraucher sind. Wir können nicht auf andere zählen.

Wir unterstützen auch den Leitungsaufbau von Nord nach Süd. Das ist zwingend notwendig. Aber wir wollen eben auch einen hohen Anteil selber erzeugter regenerativer Energie für unsere hohen Verbräuche leisten. So, wie das hier gelingt, wird es uns auch an vielen, vielen anderen Stellen gelingen. Wir haben uns auf einen Pfad gemacht. Es wird entrümpelt. Wir haben einen neuen Landesentwicklungsplan auf den Weg gebracht, der zügig verhandelt und beschlossen werden soll, um noch mehr Freiräume und Möglichkeiten für schnelle Genehmigungen zu schaffen, weil wir alle wollen, dass es zügig so weitergeht, wie wir das jetzt vorgelegt haben.

Herzlichen Dank, dass Sie hierhergekommen sind!

BK Scholz: Schönen Dank für die Einladung und die Gelegenheit, hier ganz konkret zu schauen, wie im Wald Windkraftanlagen errichtet worden sind und sich ganz schnell mit der Natur verwoben haben. Das passt hierher. Ich finde es sehr beeindruckend, dass es auch viel Unterstützung von denjenigen gibt, die den Wald als Natur nutzen, die hier leben und wohnen, und dass alle gesehen haben, wie sehr das unmittelbar zum Wohlstand der Gemeinde vor Ort beiträgt. Das ist das, was wir uns wünschen und was wir auch brauchen, weil wir den Ausbau der erneuerbaren Energien mit noch viel größerem Tempo als in den letzten Jahren und Jahrzehnten vorantreiben müssen.

Ich habe gesagt „Wir brauchen ein Deutschlandtempo, damit das gelingt“ und habe auch Ziele vorgegeben, was die Zahl der Windkraftanlagen pro Tag betrifft, die wir errichten müssen. Ich habe gesagt: vier bis fünf. Das ist sehr viel. Es ist aber, wie wir sehen, möglich, denn allein die Genehmigungen, die in Deutschland im Juni erteilt worden sind, sind oberhalb der Größenordnung, die wir für dieses Ziel brauchen. Nun dürfen wir nicht nachlassen, sondern müssen weitermachen. Das gilt genauso für die Solarenergie und selbstverständlich auch für den Netzausbau. Wäre es so, dass wir die so lange geplanten großen Übertragungsnetze aus dem Norden und Osten Deutschlands schon in den Südwesten verlegt hätten, hätten wir schon heute erheblich geringere Strompreise, weil wir Überschussproduktionen von Windkraft und auch von Solarenergie in Nord- und Ostdeutschland haben und deshalb diese Netze unmittelbar für die industriellen Zentren brauchen. Gut ist, dass jetzt Tempo beim Ausbau der Windkraft und Solarenergie im Südwesten der Republik in den Ländern vorgelegt wird, die industriell so bedeutsam für unser Land sind wie Nordrhein-Westfalen.

Wenn wir das alle gemeinsam anpacken, werden wir auch unsere Ziele erreichen, nämlich 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien schon 2030, also von jetzt an in wenigen Jahren, zu erzeugen. Das bedeutet, dass wir entsprechend viele Anlagen errichten müssen. Das bedeutet aber auch, dass wir mehr Strom produzieren müssen, denn die industrielle Zukunft Deutschlands wird viel stärker auf Strom basieren, als das heute schon der Fall ist. Weil wir Industrieland sind, ist Deutschland ein großer Stromverbraucher. Aber weil wir ein CO2-neutrales Industrieland werden wollen, werden wir ein noch viel größerer Stromverbraucher werden. Das sind dann nicht mehr wie heute 650 Terrawattstunden, sondern am Ende des Jahrzehnts 750 bis 800 Terrawattstunden. Das werden sicherlich in den 30er-Jahren 1000 Terrawattstunden Strom sein. Daran sieht man, wie notwendig es ist, dass wir das alle als eine gemeinsame Sache hier in Deutschland begreifen.

Wir werden die Gesetze weiter gemeinsam ändern. Wir haben im letzten und in diesem Jahr schon sehr viele Änderungen vorgenommen, die ein neues Tempo möglich gemacht haben. Wir werden gleichzeitig aber auch viele mutige Entscheiderinnen und Entscheider auf allen Ebenen in Deutschland brauchen, die nicht für alles ein Gutachten brauchen, sondern einfach sagen: Ich entscheide jetzt. - Dann bekommen wir auch das Tempo. Und in dem Sinne ist das heute eine gute Erfahrung.

Frage: Herr Bundeskanzler, Herr Ministerpräsident, der Bürgermeister hat sich von Ihnen beiden eben gewünscht: Macht es uns einfacher. Lasst doch die, die wollen, bitte machen. – Wie wollen Sie beide kooperieren, um das zu ermöglichen?

BK Scholz: Wir haben schon kooperiert, nämlich mit den Gesetzen, die die Bundesregierung letztes Jahr und dieses Jahr auf den Weg gebracht hat, um schnelle Genehmigungen zum Beispiel von Windkraftanlagen zu ermöglichen, auch auf solchen Flächen wie im Wald. Natürlich funktioniert das dann gut, wenn auch die entsprechende Korrespondenzgesetzgebung und Verwaltungsregelungen in den Ländern getroffen werden. Wir haben eben schon gehört: Das ist hier geplant. Insofern wird es zu einer weiteren Beschleunigung kommen. Was dann noch notwendig ist, ist einfach Mut auf allen Ebenen. Dann kann man die Gesetze auch schnell nutzen.

Frage: Herr Bundeskanzler, zwei Fragen im Kontext Ihres Besuchs hier in Simmerath.

Erste Frage: Der Prüfbericht hinsichtlich des Klimaschutzprogramms liegt jetzt vor. Der Bericht kritisiert unter anderem fehlendes Monitoring, unzureichende Daten und spricht von einem dringenden Handlungsbedarf. Was gedenken Sie zu tun?

Zweite Frage: Müssen Sie jetzt doch Ihren Koalitionspartner, die FDP, von einem Tempolimit überzeugen?

BK Scholz: Schön, dass Sie mir die Fragen stellen, die mir schon 200 Leute gestellt haben! Das finde ich kreativ.

Das Erste ist, dass ich fest davon überzeugt bin, dass wir mit den Maßnahmen und Entscheidungen, die wir getroffen haben, genau das tun, was man braucht, damit Deutschland 2045 CO2-neutral wird und damit wir auch die Klimaziele 2030 erreichen können. Dazu wollen wir zum Beispiel erreichen - dafür haben wir die notwendigen Maßgaben ergriffen -, dass wir 2030 15 Millionen Elektrofahrzeuge haben, die in Deutschland unterwegs sind. Wir werden deshalb auch beim Ausbau der Ladeinfrastruktur Tempo machen, damit alle, wenn sie sich ein solches Fahrzeug zulegen, wissen, dass es auch immer die Möglichkeit gibt, genügend Strom aufzunehmen.

Wir werden gleichzeitig mit sehr hohen Investition dafür sorgen, den Bahnverkehr in Deutschland zu modernisieren und marode Infrastruktur in Ordnung zu bringen. Deshalb haben wir zusätzliche Mittel in der Größenordnung von zig Milliarden mobilisiert, damit sie im Bereich der Bahn für den Verkehr eingesetzt werden können. Auch das wird helfen.

Wie Sie wissen, sorgen wir mit der kommunalen Wärmeplanung dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger bald wissen, woran sie sind, ob sie zum Beispiel die Chance auf einen Fernwärmeanschluss haben, ob es in ihrer Gegend Möglichkeiten gibt, auf andere Weise Wärmeenergie zu erzeugen. Es sind ja sehr viele Dinge, die jeweils zur Disposition stehen, ob es Solarthermie ist, ob es die Nutzung von Luftwärmeanlagen ist, ob es Holzpelletanlagen sind, eben alles das, was dazu beiträgt, das Klima zu schützen. Jeder muss sich irgendwann einmal in den nächsten 20 Jahren eine Entscheidung überlegen. Deshalb ist es wichtig, dass die Wärmeplanung vorher fertig ist, damit man weiß, in welchem Rahmen das passiert. Ich glaube, dass immer dann, wenn das der Fall ist, für alle eine Entscheidung möglich sein.

Wir haben selbstverständlich auch dazu beigetragen, dass die industrielle Modernisierung in Deutschland gelingt. Heute sehen wir, dass wir Tempo machen können und sogar auf das Tempo kommen, das wir brauchen, damit wir einen so hohen Anteil an Strom aus erneuerbarer Energie für unseren täglichen Bedarfe, aber auch für die industriellen und wirtschaftlichen Zwecke haben. Diese Entscheidung wird auch dazu beitragen, dass dann die Industrie ihre Entscheidungen treffen kann. Viele Unternehmen stehen unmittelbar davor, Investitionen zu tätigen, um ihre Anlagen zu modernisieren. Das setzt aber Strom voraus und, was auch dazugehört, Wasserstoff. Deshalb haben wir jetzt die Gelegenheit, dass wir sowieso Terminals an den norddeutschen Küsten errichtet haben, um Gas importieren zu können, genutzt, sodass daraus perspektivisch Wasserstoffimportmöglichkeiten entstehen. Wir werden in diesem Jahr die notwendigen Entscheidungen treffen, damit eine milliardenschwere Investition getätigt werden kann, damit ein Kernnetz für Wasserstoff in Deutschland entsteht. Das ist privatwirtschaftlich - das ist unser Plan -, aber trotzdem muss es ja zusammenhängend sein und schon viele Jahre existieren, bevor es voll ausgelastet ist. Das muss sich über 20 Jahre, 30 Jahre rentieren. Aber wir sind mit den Investoren, im Wesentlichen den Netzbetreibern für Gas, im Gespräch, um einen Rahmen zu entwickeln, in dem das in Deutschland jetzt auf den Weg gebracht werden kann.

Das ist die Voraussetzung für vieles andere, was notwendig ist. Für das künftige Stromnetz brauchen wir zum Beispiel Wasserstoff-ready-Gaskraftwerke, die in großer Zahl genehmigt werden müssen, damit sie in den 30er-Jahren in Betrieb gehen können. Denn auch dann, wenn wir alle unsere Ziele mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen, werden trotzdem manchmal zugleich die Sonne nicht scheinen und der Wind nicht genügend wehen, und dann werden wir diese Anlagen anwerfen müssen, damit wir 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen in der Woche immer den Strom haben, den wir brauchen.

Sie sehen also: Die große ökologische industrielle Modernisierung unseres Deutschlands schreitet mit großem Tempo voran.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe zwei Fragen an Sie. Herr Scholz, Sie haben das Tempo von NRW beim Ausbau der Erneuerbaren gelobt. Was ist aus Ihrer Sicht der Unterschied zu anderen Bundesländern? Was macht NRW dabei besonders klug und vielleicht auch besonders richtig? Von welchen Ländern würden Sie sich dabei noch mehr Tempo wünschen?

Die zweite Frage ist: Haben Sie heute hier in Simmerath Ihrer Meinung nach mit Herrn Wüst den künftigen Herausforderer bei der nächsten Bundestagswahl getroffen?

BK Scholz: Ich bin alles Mögliche, aber nicht CDU-Pressesprecher. Insofern müssen Sie den in Berlin aufsuchen, um eine Auskunft dazu zu bekommen.

Was die Frage der Entwicklungen in den Ländern betrifft, haben wir gesehen, dass das Tempo zunächst in Norddeutschland und im Osten Deutschlands stark zugenommen hat, wo wir jetzt einen Überschuss an Windstrom haben. Zum Beispiel produzieren die Länder Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sehr viel Strom mit Windkraft, auch Niedersachsen. Aber ich sehe jetzt, dass das nach Süden wandert. Nordrhein-Westfalen ist jetzt wirklich dabei, auch selbst Tempo vorzulegen. Das ist ein großer Schritt nach vorn, weil es doch viele Jahre anders war. Insofern freue ich mich sowohl über die Genehmigungen, die jetzt erteilt worden sind, als auch über die Absichten, weitere rechtliche Regelungen zu treffen, damit wir gewissermaßen eine Entfesselung der Investitionstätigkeit zustande bekommen können, die ja auch notwendig ist.

Dann ist klar, dass insbesondere in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg noch viel mehr Genehmigungen und viel mehr Tempo notwendig sind. Es ist schon bedrückend, wenn wir die konkreten Zahlen in diesen Ländern sehen. Da wir die gleichen Rahmengesetze und die gleichen Interessen haben, ist es natürlich wichtig, zu erkennen, dass auch dort etwas passieren muss.

Besonders bedrückt mich - das will ich gern noch einmal sagen -, dass die Hauptprofiteure des Netzausbaus im Süden der Republik und in den industriellen Ballungszentren - das ist natürlich auch Nordrhein-Westfalen - nicht alle an einem Strang gezogen haben, als es um das Tempo beim Ausbau der Stromleitungen ging. Ich habe es vorhin schon gesagt: Hätten wir sie schon gebaut, würden wir nicht in diese etwas absurde Situation kommen, dass wir jetzt Geld ausgeben, um Strom im Norden und Osten Deutschlands nicht produzieren zu lassen und ihn, falls ihn jemand dort gekauft hat, mit Gas im Südwesten noch einmal neu zu produzieren. Wir zahlen also zweimal, und zwar nur deshalb, weil die Leitungen nicht fertig sind. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir diese Geschwindigkeit erreichen, dass der Leitungsausbau jetzt mit dem Tempo vorankommt, das für unser Industrieland so wichtig ist.