Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz nach dem virtuellen Treffen der Staats- und Regierungschefs der G7 am 12. Dezember 2022 in Berlin

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

BK Scholz: Einen schönen guten Tag! Ich möchte Sie kurz unterrichten, dass ich gerade mit den Staats- und Regierungschefs der G7 eine Videokonferenz gehabt habe. Auch der ukrainische Präsident Selensky war zu diesem Treffen zugeschaltet.

Es war das sechste Treffen der Gruppe der G7 unter deutscher Präsidentschaft. Neben dem Gipfel in Elmau hier in Deutschland und dem Treffen im März in Brüssel haben wir uns nun zum vierten Mal in diesem Jahr virtuell zusammengeschaltet. Allein diese Zahl zeigt, wie eng wir uns mit unseren engsten Wertepartnern in diesem Jahr abgestimmt haben.

Bevor ich auf die Ergebnisse des heutigen Treffens eingehe, möchte ich kurz einen Blick auf dieses sicherlich außergewöhnliche Jahr unserer G7-Präsidentschaft zurückwerfen. „Fortschritt für eine gerechte Welt“, so lautete das Credo unserer Präsidentschaft. Am 24. Februar wurde deutlich, wie sehr der Begriff einer gerechten Welt unseren G7-Vorsitz prägen würde. Der Überfall Russlands auf die Ukraine markiert eine Zeitenwende, die eine entschlossene, starke Antwort der Verbündeten erforderte, allen voran eine Antwort der G7.

Es ist gelungen, diese entschlossene Antwort zu geben. Die wirtschaftlich stärksten Demokratien der Welt sind nun noch enger zusammengerückt, als sie es ohnehin schon waren. Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte verbinden uns als Wertepartner, eben im Kampf für eine gerechte Welt. Diese Werte tragen uns, das hat sich in diesem Jahr ganz besonders gezeigt. Gemeinsam engagieren wir uns für die Unterstützung der Ukraine und für einen gerechten Frieden. Wir verurteilen das brutale Vorgehen Russlands. Ich bin überzeugt: Es ist unsere Einigkeit, unsere Entschlossenheit, die dazu geführt hat, dass der russische Präsident Putin heute ganz alleine dasteht. Wir fordern Putin erneut auf, das sinnlose Töten in der Ukraine zu beenden und seine Truppen endlich zurückzuziehen!

Putin ist isoliert. Er steht alleine da. Der G20-Gipfel auf Bali hat gezeigt: Unsere Partner rund um die Welt haben Russland aufgefordert, zum Völkerrecht zurückzukehren und den Krieg zu beenden. Einen Einsatz von Atomwaffen haben sie als absolut inakzeptabel bezeichnet und damit eine wichtige Linie gezogen.

Lassen Sie mich aus unserem heutigen Gespräch noch zwei Punkte besonders hervorheben. Erstens. Die wirtschaftsstarken Demokratien, die G7, stehen weiterhin fest an der Seite der Ukraine. Die unerschütterliche Solidarität mit der Ukraine und die konkrete Unterstützung der Ukraine zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Präsidentschaft. Sie zeigt sich in den verschiedensten Bereichen - politisch, finanziell, wirtschaftlich, humanitär und militärisch -, und wir werden sie so lange leisten, wie es nötig ist. Das haben wir heute noch einmal bekräftigt. Konkret haben wir an die internationale Expertenkonferenz zum Wiederaufbau der Ukraine angeknüpft, zu der wir im Oktober nach Berlin eingeladen hatten.

Die G7 hat sich heute auf zentrale Elemente für eine Plattform verständigt, die die finanzielle Unterstützung aller Geber koordinieren soll. Das Ziel ist es, diese Plattform nun unter Beteiligung der Ukraine, internationaler Finanzinstitutionen und weiterer Partner rasch aufzubauen. Der Wiederaufbau der Ukraine wird eine Menschheitsaufgabe, vergleichbar vielleicht mit dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg.

Gleichzeitig halten wir den wirtschaftlichen Druck auf Russland weiterhin hoch. Mit der Einführung des Ölpreisdeckels sind wir einen wichtigen Schritt gegangen, damit die Staatseinnahmen Moskaus aus Ölexporten verringert werden. Gleichzeitig wollen wir die Stabilität der internationalen Ölmärkte gewährleisten und allzu hohen Preisen entgegenwirken, auch im Interesse des globalen Südens.

Wir waren uns einig: Wir werden weiter zusammenarbeiten, um die Schwächsten vor den Auswirkungen des Krieges zu schützen. Der Kampf gegen Hunger und unsere Koordinierung für eine stabile Weltwirtschaft werden im Fokus unserer Aufmerksamkeit bleiben. Es ist eine gute Nachricht, dass das Getreideabkommen der Vereinten Nationen verlängert worden ist.

Der zweite wichtige Punkt aus unserem heutigen Call betrifft den Klimaclub. Der russische Angriffskrieg und seine Folgen mögen uns besonders stark beschäftigen, aber wir verlieren die anderen globalen Aufgaben, wie den Kampf gegen den Klimawandel, nicht aus den Augen.

Beim Gipfel in Elmau hatten wir uns als G7 bereits zum Klimaclub bekannt. Seither haben wir an dem Konzept dieses offenen, kooperativen internationalen Clubs intensiv weitergearbeitet. Heute kann ich sagen: Mit der Verabschiedung der „Terms of Reference“ - gewissermaßen der Satzung - rufen wir den Klimaclub nun ins Leben. Ich freue mich sehr, dass die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - OECD - gemeinsam mit der Internationalen Energieagentur – IEA - das Sekretariat für den Klimaclub einrichten wird.

Ich bedanke mich bei unserem Klimaminister Robert Habeck dafür, dass er das alles maßgeblich mit den G7-Partnern vorbereitet hat.

Bei der Klimakonferenz in Sharm-El-Sheikh habe ich gesehen: Das Interesse vieler Partner an diesem Club ist groß. Bis zur nächsten Klimakonferenz Ende 2023 in den Vereinigten Arabischen Emiraten soll der Klimaclub weitere wichtige Staaten umfassen.

Meine Damen und Herren, zum 1. Januar 2023 übergibt Deutschland die G7-Präsidentschaft an Japan. Ich bin sehr zuversichtlich, dass eine Vielzahl der Initiativen, die wir in diesem Jahr angestoßen haben, von unseren japanischen Freunden mit viel Engagement weitergeführt wird. Ich werde ihnen dabei nach Kräften bei Seite stehen. Premierminister Kishida wünsche ich viel Erfolg und eine glückliche Hand für seine Präsidentschaft.

Schönen Dank!

Frage: Herr Bundeskanzler, noch einmal zum Thema Ukraine, über das Sie heute auch gesprochen haben. Gab es auch eine Verständigung in der praktischen Frage, ob man dem Land weitere Luftverteidigungssysteme liefert?

Können Sie etwas zu dem deutschen Luftverteidigungssystem Patriot sagen, was jetzt nach Polen kommt? Der polnische Präsident hat gefordert, dass das unter polnisches Kommando kommt. Ist das aus Ihrer Sicht akzeptabel?

BK Scholz: Zunächst einmal ist es so, dass wir uns gerade als Bundesrepublik Deutschland bei der Unterstützung der Ukraine in der letzten Zeit ja schon ganz besonders bei der Verteidigung durch Artillerie - auch sehr leistungsfähige Systeme in diesem Zusammenhang - und bei der Luftverteidigung engagiert haben.

Das wird auch in der Zukunft eine große Rolle spielen. Auch heute ist das noch einmal sehr vertieft worden und von mehreren Teilnehmern gesagt worden, dass es genau darum geht, in diesem Bereich der Verteidigung gegen Angriffe aus der Luft, die ja jetzt die Ukraine so sehr bedrücken, zu helfen. Das ist eine gemeinsame Anstrengung, die wir vornehmen werden und können.

Ich bin sehr froh, dass unser Vorschlag, den wir gemacht haben, dass wir mit Patriots die polnische Sicherheit gewährleisten und verbessern können, aufgegriffen worden ist. Sie wissen, es wird jetzt konkret erkundet, wie das durchgeführt wird. Die beiden Verteidigungsministerien sind da sehr eng, was die Kooperation angeht. Ich bin auch Verteidigungsministerin Lambrecht sehr dankbar für ihre sehr praktische und kontinuierliche Bemühung, das voranzubringen.

Die Konstruktion wird so ähnlich oder genauso sein, wie sich das im Hinblick auf die von den Vereinigten Staaten und Großbritannien installierten entsprechenden Systeme organisiert.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben es erwähnt: Der Klimaclub ist mit dem heutigen Tag gegründet. Ein Club lebt ja immer von seinen Mitgliedern. Haben Sie außer den G7, die mitmachen wollen, schon Signale von anderen Ländern?

Kann so ein Club ohne große Emittenten wie China und Indien überhaupt funktionieren?

BK Scholz: Es geht schon um eine praktische Zusammenarbeit, aber natürlich um eine sehr, sehr offene. Das, was wir uns miteinander vorstellen, ist, dass wir es möglich machen, dass Länder, die ambitioniert sein wollen, zusammenarbeiten können, auch wenn sie unterschiedliche Pfade einschlagen, um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten. Deshalb ist es wichtig, dass wir eine Struktur haben, die zum Beispiel mit dem geschilderten Sekretariat verknüpft ist, weil das die Voraussetzung dafür ist, dass wir auch Wege, Vergleichbarkeiten zu identifizieren, herstellen, die es uns wiederum ermöglichen, zu kooperieren.

Und: Ja, selbstverständlich! Wir wünschen uns, dass mehr Länder, auch gerade diejenigen, die zu den Hauptemittenten gehören und nicht zum G7-Staatenkreis dazugehören, mitmachen. Das ist überhaupt nicht als exklusiver Club gedacht, sondern das ist gedacht, um möglichst offen für viele zu sein, damit wir diese große Aufgabe, die wir zum Schutz unseres Planeten und der Lebensgrundlagen künftiger Generationen haben, auch gemeinsam bewältigen können.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sie haben eben schon einmal auf das G7-Jahr zurückgeblickt. Wenn Sie noch einmal genau aus deutscher Perspektive draufschauen: Wo hat Deutschland, etwas flapsig gesagt, da einen guten Job gemacht?

Vielleicht konnte nicht alles, was im Vorjahr für G7 schon geplant wurde, auch umgesetzt werden. Wo ist möglicherweise irgendwas zu kurz gekommen, einfach durch die Umstände, was auch noch Energie verdient gehabt hätte? - Danke.

BK Scholz: Schönen Dank für die Frage. – Ich glaube, der wichtigste strategische Schritt, der in diesem Jahr gelungen ist, ist symbolisch mit der Öffnung verbunden, die die Einladung der Gäste aus Asien, Afrika und dem Süden Amerikas dargestellt hat. Große Demokratien, die für ihre Regionen sprechen und die wir ganz bewusst einbezogen haben, um auf Augenhöhe miteinander über die künftige Entwicklung der Welt zu sprechen.

Wenn wir realistisch sind, dann wissen wir, dass die Welt auf zehn Milliarden Einwohner wachsen wird und dass es in dieser Welt sehr viele, sehr einflussreiche Staaten geben wird, wo es für uns in Europa, im Norden Amerikas, in Japan wichtig ist, dass wir einen Weg finden, eng miteinander zu kooperieren. Das ist gelungen und auch sehr ernsthaft wahrgenommen worden und unterstrichen worden durch verschiedene Gespräche, die ich und auch andere geführt haben.

Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass das Fazit, das ich eben habe ziehen können, nämlich dass Russland jetzt doch sehr alleine dasteht, ohne dieses Vorgehen nicht möglich wäre; denn am Ende haben auch Südafrika, Indien und Indonesien ganz maßgeblich mitgeholfen, dass wir zu so weitreichenden gemeinsamen Feststellungen bei dem G20-Treffen gekommen sind. Das, glaube ich, ist schon ein Ergebnis dieses Ansatzes, der sich bewährt hat und von dem ich hoffe, dass er auch in den nächsten Jahren eine Haltung unserer Staatengemeinschaft sein wird. Denn die Welt wird sich definitiv in diese multipolare Richtung verändern, und gute Kooperation in dieser Welt mit so vielen Machtzentren ist, glaube ich, in unserem eigenen Interesse, aber vor allem auch im Interesse der Menschen.

Gleichzeitig ist es so, dass wir natürlich versucht haben, auch Themen voranzubringen, die langfristig erfordern, dass wir miteinander kooperieren. Der eben schon besprochene Klimaclub ist dabei aus meiner Sicht ein ganz großer Schritt - gar nicht wegen des Clubs und auch nicht wegen dieser konkreten Konstruktion, sondern weil er einfach direkt auf das Thema zumarschiert. Denn wenn wir ambitioniert sein wollen bei der Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels, dann machten wir einen Fehler, wenn das Ende davon Zollkriege und ähnliche Aktivitäten wären. Weil das so ist, haben wir da, glaube ich, einen wirklich guten Schritt nach vorne gemacht, der sich dann auf verschiedenste Weise auswirken wird.

Wichtig ist natürlich gewesen, dass die ganzen Themen nicht vergessen werden, die wir in diesem Rahmen besprechen - ob das nun die Gleichstellung von Männern und Frauen ist oder ob das die Fragen sind, die den globalen Süden ganz besonders betreffen, insbesondere im Hinblick auf die Gefahr von Hunger und die Frage, wie wir dagegen vorgehen können. Insofern glaube ich, dass es - auch wenn das Thema des furchtbaren Krieges, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, alles dominiert hat - auch auf diese Weise zu richtigen Fortschritten gekommen ist.

Ansonsten hat der Ukraine-Krieg schon einen großen Teil der Debatten in Anspruch genommen, und es war dann ja auch ungewöhnlich genug, dass wir die Ukraine immer wieder dazu geladen haben, um mit dem ukrainischen Präsidenten zu sprechen und die Lage zu bereden. Ich finde, dass es schon bemerkenswert ist, wie sehr alle, die hier versammelt sind, aber international auch noch viele andere - auch Länder, die weit weg liegen von dem Ort des Krieges - sich verpflichtet haben, dieser Aggression zu widerstehen und hilfreich zu sein. Auch das ist, glaube ich, einer der guten Erfolge.