Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz anlässlich des G20-Gipfels auf Bali am 15. November 2022

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BK Scholz: Das G20-Treffen hier findet in Zeiten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine statt. Deshalb ist es wichtig und zentral, dass genau diese Frage hier immer wieder besprochen worden ist. Viele Staats- und Regierungschefs haben sich dazu zu Wort gemeldet. Es ist gut und richtig, dass sich hier abzeichnet, dass klargestellt wird, dass dieser Angriffskrieg nicht akzeptiert werden kann, dass die Auswirkungen dieses Krieges auf die übrige Welt, was Hunger oder Energiepreise betrifft, sorgfältig betrachtet werden müssen und dass alles gegen diese negativen Auswirkungen unternommen werden muss, und dass wir gleichzeitig klarstellen, dass der Einsatz von Atomwaffen nicht in Betracht kommt. Das ist ein sich hier allmählich durchsetzender Konsens und, wie ich finde, ein großer Fortschritt, den man nicht erwarten durfte, als wir uns Anfang des Jahres darüber unterhalten haben, wie der G20-Gipfel angesichts dieses Krieges vor sich gehen werde.

Es ist also gut, dass wir uns dazu entschieden haben, hierherzufahren. Es ist richtig gewesen, dass wir sorgfältig darüber verhandelt haben, welche Entscheidungen und Beschlüsse hier gefasst werden. Es ist auch besonders wertvoll, dass eine solche Sichtweise hier solche Bedeutung bekommen hat. Das ist für mich zentral.

Klar ist, dass wir in dieser Situation auch die anderen Aufgaben des G20-Gipfels nicht aus dem Blick verlieren. Dabei geht es darum, sicherzustellen, dass die Welternährung gewährleistet bleibt. Das ist wegen des russischen Angriffskrieges, aber nicht nur deswegen ein großes Problem. Deutschland hat seine Mittel über die verschiedenen Programme zur Gewährleistung von Ernährungssicherheit auf fünf Milliarden Euro angehoben. Das ist ein wichtiger und auch substanzieller Beitrag, um mit diesen Problemen ganz konkret umzugehen.

Wir haben weiterhin die Frage der Energiesicherheit im Blick, aktuell im Hinblick auf die steigenden Preise und darauf, wie es gelingen kann, weltweite Strukturen zu schaffen, die dazu beitragen, dass die Energiepreise wieder sinken und eine ausreichende Versorgung mit den heute noch notwendigen fossilen Ressourcen gelingt, aber gleichzeitig auch mit dem Blick auf die Zukunft. Denn es bleibt das gemeinsame Ziel, um die Mitte des Jahrhunderts CO2-neutral zu wirtschaften. Das ist eine riesige Anstrengung. Wenn das gelingen soll, dann muss jetzt überall zum Beispiel auch in den Ausbau der erneuerbaren Energien investiert und mit vielen konkreten Programmen dazu beigetragen werden, dass auch die Länder in Asien, in Afrika und im Süden Amerikas, die nicht über die finanziellen Mittel verfügen, dabei unterstützt werden. Für mich ist ganz wichtig, was wir hier auch als Programm „Just Energy Transition Partnership“ mit Südafrika und mit Indonesien entwickelt haben. Es zeichnet sich auch eine Verständigung mit dem Senegal darüber ab. Mir ist es ein ganz persönliches Anliegen, dass wir an so konkreten Beispielen deutlich machen, dass das nicht nur ein Thema einiger Länder ist, sondern eine Perspektive, die global vertreten und verfolgt werden kann.

Insofern ist es, wie ich finde, bisher trotz der Rahmenbedingungen, die bedrückend sind, ein ganz erfolgreich verlaufender Gipfel, und es ist eine gute Sache, dass wir hierhergekommen sind.

Frage: Herr Bundeskanzler, Sergej Lawrow hat eben in einem Statement gesagt, er habe Sie hier getroffen und habe mit Ihnen gesprochen. Können Sie sagen, was der Rahmen und der Inhalt dieses Gespräches war? Was haben Sie daraus mitgenommen?

BK Scholz: Er stand in meiner Nähe und hat auch zwei Sätze gesagt. Aber das war das Gespräch.

Frage: Herr Bundeskanzler, der ukrainische Präsident hat einen Zehnpunkteplan zur Erlangung des Friedens vorgestellt. Stimmen Sie allen zehn Punkten zum Frieden, die der ukrainische Präsident vorgestellt hat, zu?

BK Scholz: Wichtig ist jetzt, dass Russland seinen Angriffskrieg beendet und seine Truppen zurückzieht. Das ist die Grundlage dafür, dass wir eine Situation erreichen können, in der miteinander über einen Frieden verhandelt werden kann, der kein Diktatfrieden aus der Perspektive Russlands ist. Das wird die Ukraine nicht akzeptieren, aber ‑ das kann man heute sagen ‑ auch die Weltgemeinschaft nicht. Insofern ist das der zentrale Punkt.

Wir haben dann ganz aktuelle Fragen, die zu bewältigen sind. Die Ernährungssicherheit gehört dazu. Ich will das noch einmal sagen: Wir haben hier alle sorgfältig diskutiert über die Black Sea Grain Initiative, das heißt, den Seetransport der ukrainischen Getreideprodukte und Düngemittel über das schwarze Meer. Natürlich unterstützen wir das auch mit den Mitteln, die wir in der Europäischen Union hinbekommen haben, über unsere Eisenbahnlinien und über die großen Flüsse Europas.

Frage: Herr Bundeskanzler, in dem Entwurf für die Abschlusserklärung heißt es, dass die meisten Länder den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilen. Was heißt das genau? Ist das eine 19-zu-eins-Erklärung, verurteilen also 19 der G20-Mitglieder diesen Krieg, also auch Länder wie China, Indien und Südafrika, die sich in der UN-Vollversammlung enthalten haben?

BK Scholz: Es wird hier Bezug genommen auf die Vollversammlung der Vereinten Nationen, und das klare Statement ist auch, dass das hier wiedergegeben wird. Dort hat es eine sehr deutliche Mehrheit für eine Verurteilung Russlands und der russischen Aggressionen gegeben. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass hier auch andere Ansichten existieren. Die sind aber nicht ausgezählt. Deshalb liegt in der Formulierung auch eine gewisse Ambiguität. Mein Eindruck aus vielen Gesprächen mit vielen der Länder, die sich bei der UN-Generalversammlung enthalten haben, ist nämlich, dass viele davon innerlich überzeugt sind, dass dies ein ungerechter und ein überflüssiger Krieg ist.

Frage: Herr Bundeskanzler, zwei kurze Fragen: Ein wichtiger Punkt ist ja auch, dass der Einsatz von Nuklearwaffen für unzulässig erklärt wird. Wird dieser Punkt auch von Russland geteilt?

Was halten Sie von dem bei dem Mittagessen gemachten Vorschlag des FIFA-Präsidenten, während der Fußball-WM einen Monat lang die Waffen in der Ukraine schweigen zu lassen?

BK Scholz: Dass wir alle wollen, dass der Krieg zu Ende geht und Russland seine Truppen zurückzieht, habe ich schon gesagt. Das ist insofern auch nicht neu. Was wir hier sehen, ist eine Verständigung auf eine Abschlusserklärung ‑ so weit, denn man darf ja den Tag nicht vor dem Abend loben und den G20-Gipfel nicht vor seinem Ende. Wir sehen aber, dass hier eine Verständigung gelingt, der in dieser Hinsicht niemand widerspricht. Deshalb ist es auch ein ganz besonders wichtiges Datum, diese Aussage einmal hier gemacht zu haben, weil es das in einem ganz entscheidenden Moment dieses Krieges klarstellt. Denn wir müssen ja sicherstellen, dass nicht eine solche Eskalation angesichts des militärischen Verlaufs plötzlich doch stattfindet. Deshalb war es genau jetzt wichtig, dass in bilateralen Gesprächen wie meinem mit dem chinesischen Präsidenten, wie in dem Gespräch, das der amerikanische Präsident mit dem chinesischen Präsidenten geführt hat, aber eben auch hier diese Aussage gemacht wird. Für die nächste Zeit ist das ein ganz wichtiger Haltepunkt, der hier dann auch noch einmal zu sehen ist.

Frage: Herr Bundeskanzler, der G20 ist ja einmal als Finanzforum gestartet. Jetzt steht in diesem Jahr die Sicherheitsfrage schwer im Vordergrund. Angesichts der Tatsache, dass Sie oft von einer multipolaren Welt, in die wir uns hin entwickeln, sprechen und der Tatsache, dass in den nächsten Jahren Schwellenländer den Vorsitz beim G20 haben werden, wo sehen Sie die Zukunft für dieses Forum?

BK Scholz: Zunächst einmal sieht man ja an dem hoffentlich am Ende auch von allen abschließend konsentierten Text, dass hier nicht nur die Fragen, die jetzt unmittelbar im Vordergrund stehen, sondern auch alle anderen Fragen eine Rolle spielen.

Wir haben auch sehr sorgfältig gesprochen ‑ das findet sich ja in dem Entwurf der Abschlusserklärung auch wieder ‑ über die COVID-19-Pandemie, über die Frage, wie wir Pandemien insgesamt bekämpfen und wie wir gegen Herausforderungen vorgehen wollen, die zum Beispiel mit Tuberkulose, Aids und Polio verbunden sind.

Es spielen die Fragen der Finanzarchitektur eine Rolle ‑ immer noch, und Gott sei Dank auch immer noch. Jetzt geht es um die Implementierung der Beschlüsse zur Mindestbesteuerung und zur Besteuerung sehr hohe Gewinne erzielender global agierender Unternehmen. Deshalb bleiben die Fragen in diesem Format auch weiter aktuell und werden dort auch weiter verhandelt.

Wenn man sich anguckt, wie groß die Bevölkerungsanteile sind, die durch diese 20 Staaten in der Welt vertreten werden, wenn man sich anschaut, welche Wirtschaftsleistung damit verbunden ist und wenn man betrachtet, dass hier eben doch auch viele dabei sind, die in den anderen Kooperationsformen, die kleiner sind, sich nicht wiederfinden, dann ist das, glaube ich, ein Format, das auch für die Zukunft große Bedeutung hat.

Es ist ein gutes Signal, dass G20 jetzt eine indonesische Präsidentschaft hatte und dann eine indische haben wird. Aus meiner Sicht trägt das dazu bei, dass die Wirksamkeit dieser Gesprächsformate erhalten bleibt. Das unterstützt auch den Prozess, um den ich mich ja selbst sehr bemüht habe mit meiner Einladung der Staats- und Regierungschefs von Indonesien, Indien, Südafrika, Senegal und Argentinien zum G7-Gipfel, auch als Repräsentanten ihrer Kontinente und als große demokratische Volkswirtschaften, die in der künftigen Welt eine größere Rolle spielen werden.

Frage: Herr Bundeskanzler, kann ich Ihre Äußerung zu den zwei Sätzen von Sergej Lawrow eben so verstehen, dass es aus Ihrer Sicht keinen Sinn macht, bei dieser Gelegenheit weitere Sätze mit Lawrow zu reden? In welcher Konstellation und von welcher Seite aus könnte es nach dem Gipfel und der möglichen Erklärung sinnvoll sein, dann auf Putin zuzugehen?

BK Scholz: Mir ist wichtig, dass man immer präzise bleibt.

Ansonsten ist es so, dass ich ja in den letzten Wochen und Monaten nicht nur sehr oft mit dem ukrainischen Präsidenten gesprochen habe ‑ in Kiew, am Telefon und auch vor dem Krieg habe ich mich bereits mit ihm getroffen ‑, sondern das Gleiche unverändert weiter mit dem russischen Präsidenten getan habe. Ich habe mich vor dem Krieg lange mit ihm in Moskau unterhalten, und ich habe seither mit ihm immer wieder in bestimmten Abständen telefoniert und werde das auch weiter tun. Deshalb gibt es von meiner Seite keine Vorbehalte gegen solche Gespräche; die finde ich richtig. Aber wenn sie nicht eine halbe Stunde gedauert haben, sollte da auch nicht der Eindruck entstehen, dass das so ist.

Ich finde es ‑ lassen Sie mich das noch einmal sagen ‑ richtig, dass es ein ständiges Gespräch gibt, in dem wir auch genau die Fragen diskutieren, die wir unterschiedlich sehen. Am Ende muss es ja irgendwann einen Moment geben, in dem Russland einsieht und akzeptiert, dass es jetzt aus dieser Situation herauskommen muss. Die eine Forderung ist ja ein Truppenrückzug. Dazu habe ich ja hier schon etwas gesagt.